Blutegel

Egel sei der Mensch, hilfreich und gut
Ein Wurm, der Blut saugt – da ekeln sich manche Patienten. Oder ich werde gefragt: Blutegel – sind die denn überhaupt noch zeitgemäß?
Heilpflanzen erfreuen sich seit alters her großer Beliebtheit, dagegen gibt es unter den Tieren nur verhältnismäßig wenige, die im medizinischen Gebrauch geblieben sind. Der medizinische Blutegel (Hirudo medicinalis) ist wohl ihr bekanntester Vertreter, und das mit gutem Grund: er kann wiederangenähte Gliedmaßen retten und von „schweren Beinen“ befreien.

In einigen Kliniken – insbesondere in der Unfallchirurgie – hat die Blutegeltherapie ihren festen Platz. Heilpraktiker setzen bei einer Reihe von Krankheiten auf die „kleinen Vampire“. Sie zählt seit der Antike zu den körperentgiftenden Verfahren. Im Unterschied zum Schröpfen oder Aderlaß wird allerdings nicht nur Blut abgelassen. Forschungen haben gezeigt, daß der Speichel des Saugers Wirkstoffe enthält, die bei seiner Mahlzeit in den Blutkreislauf gelangen. Bisher wurden 16 verschiedene Stoffe extrahiert, die nur teilweise erforscht sind.
Beinleiden und Gefäßschäden sind die größte und bekannteste Domäne der Blutegel. Thrombosen lösen sich auf, Venenentzündungen und Krampfadern werden gelindert. Die durchblutungsfördernde Wirkung hat den Egeln zu einem festen Platz in der Unfall- und Gesichtschirurgie verholfen. Hier werden sie erfolgreich eingesetzt nach Transplantationen. Sie bringen den Rückfluß in Gang ohne die schweren Nebenwirkungen abschwellender Medikamente. Schon manches angenähte Körperteil wurde so gerettet. Die Liste weiterer Anwendungsmöglichkeiten ist lang: Bei Arthrose, Kopfschmerzen, Gürtelrose, klimakterischen Beschwerden, Bluthochdruck und Entzündungen aller Art werden Egel mit Erfolg eingesetzt.

Zur Anwendung: Etwa 4 – 12 Egel werden pro Behandlung angesetzt. Als Regel gilt: Je chronischer eine Erkrankung, desto weniger Egel werden angesetzt, desto öfter erfolgt aber eine Wiederholung. Der Biß ist einem Insektenstich vergleichbar – ein Pieken oder Ziehen. Nach etwa ½ bis 1 Stunde Saugen ist der Egel gesättigt und fällt ab. Durch die gerinnungshemmenden Wirkstoffe blutet die Wunde noch ca. 12 bis 24 Stunden nach. Dies ist erwünscht und wird nicht gestoppt, sondern mit einem Verband versorgt. Infektionsgefahren: Viele Patienten fürchten eine Übertragung von Krankheitserregern, jedoch wird sie von Experten ausgeschlossen. Zum einen wird die Wunde durch das lange Nachbluten gereinigt, zum anderen enthält das Egelsekret ein natürliches Antibiotikum. Als Vorsichtsmaßnahme werden Egel jedoch nur einmal verwendet. Danach werden sie abgetötet, oder sie kommen in einen „Rentnerteich“ beim Züchter. Manche geheilten Patienten sind ihren Wohltätern jedoch so dankbar, daß sie sie mitnehmen und im eigenen Gartenteich aussetzen.

Am Anfang stand die Frage, ob eine Blutegelbehandlung noch in unsere Zeit paßt. Ich denke: In einer Gesellschaft, in der die Menschen mehr an den Nebenwirkungen ihrer Medikamente leiden als an ihren Grunderkrankungen und wo das Gesundheitssystem wegen der astronomisch hohen Kosten zusammenbricht, wäre es eine sträfliche Nachlässigkeit, diese hervorragende Behandlungsmethode, die die Natur uns gegeben hat, nicht zu nutzen.